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TEs Bundesliga-Check: Abstiegsoffensive statt Abstiegskampf

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Selbst wenn man daran glaubt, dass man im Tabellenkeller Kampf und defensive Stabilität benötigt: In dieser Saison funktioniert dieser Ansatz nicht. TE erklärt an den Beispielen Köln und Bremen, warum das so ist.

Spielverlagerung-Autor TE sucht sich nach jedem Bundesliga-Spieltag zwei bis drei Aspekte heraus, die er kurz und knackig analysiert. TEs Bundesliga-Check ist der Analysehappen für Zwischendurch – eine Spielwiese für taktische Beobachtungen, die in den ausführlichen Spielanalysen keinen Platz finden.

Die ominöse Gesamtsituation

Wir haben eine sehr, sehr seltsame Tabellensituation in der Bundesliga. Vor diesem Spieltag standen Werder Bremen und der 1. FC Köln mit fünf bzw. zwei Zählern abgeschlagen am Tabellenende. Sie spielen, so viel steht nach einem Drittel der Saison fest, gegen den Abstieg. Nun müsste man meinen, dass die alte Abstiegsweisheit greift: zunächst defensiv stabil stehen, aus dieser Ordnung Unentschieden und damit Selbstvertrauen erkämpfen, dann irgendwann wieder gewinnen.

Nur funktioniert diese Denkweise in dieser Saison nicht.

Das hat sehr viel mit der erwähnten seltsamen Tabellensituation zu tun. Wir haben einen einsam davonziehenden Spitzenreiter, vier Teams im tiefsten Schlamassel – und dazwischen ein riesig aufgeblähtes Mittelfeld. Teams, denen vor der Saison Abstiegskampf vorausgesagt wurde, ballen sich in diesen Mittelfeld: Frankfurt (19), Hannover (18), Augsburg (16), Stuttgart (16), Mainz (15). Sie befinden sich in der beneidenswerten Situation, über den Erwartungen gepunktet zu haben. Sie müssen nicht mit der Devise in Partien gehen, dass sie unbedingt einen Sieg brauchen. Schon gar nicht gegen Teams, die wirklich im Schlamassel stecken.

Das ist die Krux für Köln und Bremen und auch ein Stück weit für Hamburg und Freiburg: Fast jede Woche treffen sie auf Gegner, die keinen Grund sehen, die Initiative zu übernehmen. Die das Spiel nicht in die Handnehmen wollen, sondern sich ganz auf ihre defensiven Anpassungen verlassen. Meist sind dies Spiegelungen der gegnerischen Formation.

Dadurch entstehen zunächst seltsam anmutedende Partien: Der Tabellen-13., Mainz, bringt beim Heimspiel gegen den Tabellen-18. aus Köln nicht mehr Spieler vor den Ball als nötig. Der Tabellen-6. spiegelt gar die Formation des Tabellen-17., um einen defensiven Vorteil zu haben; eine Taktik, die Mainz vor einigen Jahren unter Thomas Tuchel populär machte, aber damals unter der Maßgabe, die Großen auf ihr eigenes Niveau herunterzuziehen. Jetzt nutzt es der klar besser punktende Verein (zugegebenermaßen ein Aufsteiger), um gegen einen formschwachen Absteiger zu punkten. Willkommen in der Bundesliga 2017.

Köln: Flanken alleine genügen nicht

Aber gehen wir einen Schritt zurück. Was war passiert am Wochenende bei den beiden Schlusslichtern der Tabelle? Köln hatte in den vergangen Wochen unter Peter Stöger als Motto ausgerufen: „Back to the basics!“ Man wolle die defensive Stabilität wieder stärker in den Vordergrund stellen.

Kölner Formation gegen Mainz

Köln kehrte zurück zum klassischen 4-4-2: Zwei Viererketten sollen eine kompakte und stabile Defensive garantieren. Im Angriff sollen die Stürmer vor allem in den Strafraum gehen. Impulse im Spiel nach vorne sollen über Konter oder über Flügelangriffe kommen.

Das Problem in Halbzeit 1: Mainz rückte gar nicht weit genug vor, damit Köln Konterangriffe spielen konnte. Mainz sicherte die eigenen Angriffe mit sechs bis sieben Spielern ab. In die zweite Linie spielten sie eher selten, sondern versuchten direkt hinter die Abwehr zu gelangen oder über die Flügel zu kommen. Gute Ballgewinne waren für die solide verteidigenden Kölner rar, ein Spiel mit wenig Chancen entstand.

Das Problem in Halbzeit 2: Mit der Führung im Rücken konnte sich Mainz in einer 4-1-4-1-Ordnung in die eigene Hälfte zurückziehen. Kölns gesamter „Back to the Basics“-Ansatz funktionierte nicht mehr nach der (zugegebenermaßen katastrophalen) Fehlentscheidung des Videoassistenten und dem daraus resultierenden Elfmeter-Tor.

Mit der Einwechslung Bittencourts gab es die zuletzt häufig beobachtbare Asymmetrie zu erkennen: Die linke Seite soll Chancen einleiten und Flanken in den Strafraum bringen, die rechte Seite soll diese Ansätze veredeln. Es brachte wenig bis auf zahllose Flanken und viele Ballgewinne der kopfballstarken Mainz-Abwehr.

Das ist das Problem der Kölner: Ihr Ansatz, sich auf die Kernkompetenzen Verschieben, Ballgewinnen, Kontern zu konzentrieren, mag der alten Abstiegskampf-Logik nach richtig sein. Doch es gibt praktisch keinen Gegner in der Bundesliga, der aktuell gegen Köln antritt und unbedingt einen Sieg braucht. Es sind die Kölner, die diese Siege brauchen – und mit ihrer Taktik gar nicht aus eigener Kraft erreichen können.

Werder: Plötzlich offensiv

Werder Bremen ging bis vor einigen Spieltagen einen ähnlichen Weg. Auch Alexander Nouri betonte, dass zunächst die Null stehen müsste. Seine taktischen Pläne sollten dafür sorgen, dass Bremen Mannorientierungen in Mittelfeld und Angriff herstellen kann. Bei eigenen Angriffen agierte Bremen eher vorsichtig, sicherte stets gut ab. Das Problem: Die Gegner überließen Nouris Werder einfach den Ball, sie hatten den Sieg ja schließlich weniger nötig als Nouris Elf.

Bremens Formation gegen Hannover

Florian Kohfeldt wagt den harten Reset. Seine Bremer agieren merklich offensiver, bringen wesentlich mehr Spieler vor den Ball als unter Nouri. Nominell setzt er auf ein 4-3-3, das jedoch einige interessante Kniffe parat hat: Defensiv wird dieses 4-3-3 zu einem 4-4-2, wodurch man zwei kompakte Viererketten gegen den Ball aufbauen kann. So kann man Stabilität herstellen – siehe Köln.

Interessanter ist, was Bremen mit dem Ball anstellt. Max Kruse lässt sich als Stürmer häufig zurückfallen oder weicht aus. Die Außenstürmer Zlatko Junuzovic und Fin Bartels spielen eher tororientierte Rollen statt den klassischen Flügelstürmer zu mimen. Bremens Formation erinnert daher in der Praxis eher an eine Raute mit Kruse als Zehner und Junuzovic und Bartels als Halbstürmer.

Hannover machte nun das, was sie so häufig in dieser Saison machten: Sie spiegelten die Formation des Gegners. Sie traten selbst mit einer Raute an, um der improvisierten Raute der Bremer etwas entgegenzuhalten. Der Aufsteiger, immerhin Tabellensechster vor dem Spieltag, wählte damit eine strategisch defensive Variante gegen den Tabellenvorletzten. Eine ähnliche Ausgangslage wie in Mainz also.

Der große Unterschied war, dass Bremen sich nicht auf defensive Stabilität versteifte. Die Außenverteidiger und Achter rückten weit nach vorne, um Anspielstationen in der gegnerischen Hälfte zu kreieren. Vor allem Gebre Selassie nutzte die Freiheiten auf dem Flügel gegen die gegnerische Raute, um immer wieder durchzubrechen. Es war eine strategisch gänzlich andere Herangehensweise, als man von einem klassischen Team im Abstiegskampf vermutet hätte.

Es funktionierte, auch dank kräftiger Unterstützung durch schwache Hannoveraner. Nach der Pause konnte Bremen mit der Führung im Rücken das tun, was ein Abstiegskandidat eigentlich so tut: Sie konterten Hannover aus einem stabilen 4-4-2 heraus aus. Das wäre aber nicht möglich gewesen, hätte man nicht in der ersten Halbzeit offensiv agiert und das 1:0 erzwungen.

Die Moral von der Geschicht‘: Wagt etwas, Abstiegskandidaten! Anders kann man in dieser Gesamtsituation den unteren Tabellenrängen aktuell schwer entfliehen.

Ausführliche Analysen des zwölften Spieltags

VfB Stuttgart – Borussia Dortmund 2:1
TSG Hoffenheim – Eintracht Frankfurt 1:1
Hertha BSC – Borussia M’Gladbach 2:4


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